Die Weilbacher Kerb kommt ab sofort ohne Hammel aus und erlebt einen Rekord beim Gickelschlag
Es kommt eben manchmal ganz anders als geplant. „Wer fotografieren will muss wissen, dass die ersten Kandidaten nie treffen“, hatte Altkerbevadder Marcus Reif die gespannten Zuschauer zu Beginn des „Gickelschlag“, einer der Höhepunkte der Weilbacher Kerb, darauf eingestimmt, dass es ein paar Runden dauern werde, ehe ein Kandidat mit den verbundenen Augen und einem Dreschflegel in der Hand den Bembel, den es aus Tierschutzgründen anstatt des Gickels zu zerlegen gilt, akustisch orten und treffen kann. Doch Heinz Lauck hatte es drauf. Der Geschäftsführer der Flörsheimer Druckerei durfte als zweiter Kandidat in den Ring. Beim Gickelschlag sein Glück im abgesperrten Kreis vor dem Haus am Weilbach versuchen zu dürfen, ist als Ehre und Dankeschön des Kerbevereins für aktuell oder langjährig um die Tradition verdiente Aktive gedacht. Die Druckerei Lauck hatte die frisch vorgelegte Chronik des Kerbevereins produziert, wie seit Jahren die Kerbe-Programmheftchen. Daher sollte der Geschäftsführer sein Glück versuchen, hatte aber eigentlich keine Chance. Denn in den ersten Runden bekommen die Kandidaten zwar durch ein Kratzen mit dem Bembel angezeigt, wohin sie angeblich schlagen müssen, aber dann wird ihnen das Gefäß wieder weggezogen und der Flegel schlägt auf einen leeren Boden.
Die erste Steigerungsstufe in dem Prozedere – der Bembel wird nicht an, sondern einen Meter neben der Stelle abgelegt, an der gekratzt wurde – war schon zu viel. Lauck erwischte den Krug, „ich habe in die Richtung geschlagen, aus der ich einen Ruf gehört hatte“, erläuterte er – reiner Zufall, dass der Zurufer in direkter Verlängerung der Linie von Kandidat zu Bembel stand. Dem Glückskind war sein Coup, der ihn für ein Jahr in den Besitz des von Thomas Reinelt entworfenen Wanderpokals bringt, etwas unangenehm, hatte Reif doch noch acht weitere Namen auf seiner Liste stehen, die durch das schnelle Ende der Zeremonie somit alle nicht mehr dran kamen und öffentlich gelobt werden konnten. Die rund 200 Besucher des Programmpunkts hatten freilich ihren Spaß. Lauck, „vor 20 oder 25 Jahren schon mal dabei“, darf den Kerbejahrgang nun vor dem Beginn der Kern 2024 auf ein Essen einladen. Damals lud er den Jahrgang ein paar Wochen später zum Grillen in seinen Garten ein, mittlerweile ist dies fest für das Folgejahr vorgesehen.
Es war nicht das einzige, was an dieser 27. Weilbacher Kerb in der Verantwortung von Weilbach 6091 nicht ganz nach Wunsch lief. Die technischen Pannen wurden dank der Fachkenntnisse von Steffen Einweck behoben –Vereinschef Matthias Theis berichtete davon, dass sich alle drei Zapfanlagen beim Aufbau als defekt entpuppt hatten, dann sei auch noch der Kühlwagen ausgefallen. „Er hat es alles wieder hinbekommen“, lobte Theis daher Einweck. Der Zweite Vorsitzende Tobias Preß bekam bei der Gelegenheit ein Sonderlob als Vielschaffer rund um die Organisation der Veranstaltung, „er hat unheimlich viel im Hintergrund weggeschafft“. Ortsvorsteher Thomas Schmidt erntete für seinen zweistündigen Einsatz mit der „Quetschkommode“ beim Frühschoppen ein Sonderlob. Nichts Gutes hatte der Kerbeverein hingegen über die Unterstützung von oben zu sagen. Am Wochenende war es besonders dem einen oder anderen älteren Weilbacher sicherlich schlicht zu heiß, um den sonntäglichen „Kerbekaffee“ aufzusuchen.
In die Bredouille brachte den Kerbeverein hingegen das Unwetter aus der Nacht zum Donnerstag. Denn auch wenn der Wasserhochstand schnell wieder Geschichte war, entschied man sich sicherheitshalber den Aufbau erst am Freitag zu beginnen, zumal für die direkt über dem Bachbett aufzubauende Lounge erst einmal Schlammmassen zu beseitigen waren. Letztlich verzichtete der Kerbeverein in diesem Jahr auf den Kunstrasen, der eigentlich für eine heimelige Atmosphäre des Rückzugsortes sorgen sollte. All diese Geschichten könnten es locker in die nächste Chronik des Kerbevereins schaffen, in die aktuelle allerdings nicht mehr, denn die ist nun rechtzeitig zur Kerb erschienen. Endlich, dürfen sich die unzähligen Aktiven sagen, die sich mit diesem Projekt beschäftigten. Die Idee kam schon vor einigen Jahren auf, Zielrichtung war das Jahr 2021, zum 25-jährigen Bestehen der Kerb unter Verantwortung von Weilbach 6091.
Was den Zeitplan durcheinanderbrachte, ist nicht schwer zu erraten. Aber das Vorhaben erwies sich auch als enorm aufwendig. Für alles, was vor 1996 an Kerbegeschichten einzusammeln war, gab es beim Verein keine Unterlagen und kein Bildmaterial, alles musste Beitrag für Beitrag mühsam eingesammelt werden, Tausende Bilder gesichtet und das Einverständnis der Abgebildeten, soweit dies möglich war, eingeholt werden. Die Sorgfalt und Qualität sei da einfach vorgegangen, hob Theis hervor. Die Chronik zeigt vor allem viele Jahrgangsfotos, das älteste aus dem Jahr 1895 – da konnte die Arbeitsgruppe sich das Einholen der Zustimmungen der Abgebildeten freilich sparen. Es wird aber auch viel historisches Wissen über die Kirchweihtradition in Weilbach geboten – für Weilbacherinnen und Weilbacher, die sich mit dem Kerbegeschehen verbunden fühlen, sind die 270 Seiten, natürlich im Kerbeverein-Lila eingebunden, eigentlich ein Muss. Der Preis ergab sich eigentlich von selbst, 6091 Cent oder 60,91 Euro sind natürlich ein gehobener Preis für das Werk. „Es ist kostendeckend“, sagt Theis, sicher auch darüber hinaus, Überschüsse werden die Vereinskasse ein wenig füllen. Das Buch mit einer Auflage von 350 Exemplaren gibt es natürlich so lange der Vorrat reicht auch nach der Kerb zu erwerben. Zum Beispiel auch, um eine Tradition seit Anbeginn des Vereins zu erfüllen, denn Weilbach 6091 nutzt seine Veranstaltungen dazu, Geld für einen guten Zweck einzusammeln.
Seit 30 Jahren, also schon aus der Zeit vor der Übernahme der Kerb durch Weilbach 6091, gehen die Einnahmen an den Verein „Hilfe für krebskranke Kinder Frankfurt“, dessen Vertreter Patrick Link aus der Hand von Theis und Stellvertreter Preß einen symbolischen Scheck in Höhe von 1.516,05 Euro entgegennahm. Alleine 600 Euro stammen von den Kuchenspenden für den Kerbekaffee am Sonntag, 250 Euro brachte die Kollekte des ökumenischen Gottesdienstes. Weilbach 6091 stockte den Betrag aus seiner Kasse auf 1.000 Euro auf. Weitere Einzelspenden erhöhten die Spendensumme auf das ansehnliche Ergebnis. Eine weitere Besonderheit dieser Kerb: Die Hammelversteigerung war in diesem und wird ziemlich sicher auch in den kommenden Jahren zu einer rein symbolischen Veranstaltung. Der Verein entschloss sich, kein lebendes Tier mehr am Haus am Weilbach auszustellen, nicht nur wegen der Sommerhitze, sondern als Ergebnis eines Diskussionsprozesses, das Tierwohl setzte sich durch. Manchmal hatten die Sieger der Versteigerung das Schaf tatsächlich mitgenommen, andere verzichteten darauf wohlweislich – was soll man ohne eigene Unterbringungsmöglichkeit schon mit solch einem Preis anfangen? Die Sieger der Versteigerung sollen künftig mit einem Tonkrug als Erinnerungsstück versorgt werden.
Ansonsten gelang dem Jahrgang um Kerbevadder Luca Berg eine Kerb mit allem drum und dran, beginnend mit dem Traditionsabend mit Kerbetanz und hessischen Spezialitäten sowie Livemusik, gefolgt vom Baumstellen am Samstagvormittag, bei dem eine Douglasie aus dem FlörsheimerWald mit einer Kerbepuppe namens „Wilde Hilde“ verziert wurde, die von den Kindern des Ferienprogramms in der Kita Maria Himmelfahrt gebastelt wurde (siehe Bericht auf Seite 10). Eröffnet wurde die Kerb am Samstag wieder zweimal: Zunächst auf dem „Juxplatz“ in der Schulstraße mit ihrem kleinen Kirmesangebot, am Abend dann mit Fassanstich durch Bürgermeister Bernd Blisch am Haus am Weilbach, wonach „Eine Band namens Wanda“ den Live-Act gab. Auch das Programm am Sonntag und Montag entsprach den Traditionen mit dem ökumenischen Gottesdienst am Sonntag, gefolgt von Mittagessen und Kerbekaffee sowie Frühschoppen und Mittagessen am Montag. Nach der dünnen Besetzung im Vorjahr hatten sich diesmal wieder 16 Kerbebuben und – mit elf Vertreterinnen gar deutlich in der Überzahl – Kerbemädchen zusammengetan, die im Alter zwischen 16 und 21 Jahren sind.
Für den organisatorisch verantwortlichen Kerbeverein wären die Aufgaben ohne die unzähligen Ehemaligen, die als treue Vereinsmitglieder bei der Kerb mit anpacken, wo immer es für den reibungslosen Ablauf notwendig ist, in diesen vier auch körperlich fordernden Tage selbst für die mehrheitlich noch jungen Verantwortlichen nicht zu stemmen. Theis und der Bürgermeister sprachen bei ihren Redebeiträgen vor dem Fassanstich entsprechend den vielen Helferinnen und Helfern an den Ständen sowie beim Auf- und Abbau ihren Dank aus.
Quelle: Flörsheimer Zeitung vom Freitag, dem 25. August 2023
Neueste Kommentare