„Wuffstock“: Liebe, Friede, Albernheiten

Von Thorsten Remsperger

Weilbach. Wer sich dazu entschieden hatte, die „Weilbacher Ultimative Fassenachts Ferunstaltung“, kurz „Wuff“ genannt, am „Fassenachtssamsdaach un de Daach devor in die Spott- und Kulthall Weilbach“ zu beehren, der bekam wie schon in den vergangenen vier Kampagnen alles andere als eine konventionelle Kappensitzung präsentiert. Auch zum Motto „Wuffstock – Love unn Peace unn wehe Füß'“ bestätigten die Denker und Lenker der Wuff ihren Ruf als innovativste Fassenachter in der Umgebung.Band Inkognito auf der WUFF

Eigentlich lieferten die Weilbacher Karnevalisten die perfekte Unterhaltung: Musik, Tänze, Kabarett, Comedy und Vorträge – und alles umrahmt von originellen Details. Sei es das aufwendige Bühnenbild von Bernd Mayer, einer der fünf Wuff-Präsidenten, die leicht verfremdete Getränkekarte mit den Drinks „Killing me softly“ (Cola, Fanta, Wasser), „Working mens favorite“ (Apfelwein) und „Dead mans wake up“ (Asbach-Uralt und Cola) oder ein Stück „echter Wuffstock-Rasen“, der vor den jeweils knapp 300 Besuchern an den beiden Abenden lag. Laut Gebrauchsanweisung sollte dieser „mit einer Mischung aus 2/3 Liter Ebbelwoi und 1/3 Marihuana“ gedüngt werden. Herausragend bei der Wuff war wieder der musikalische Aspekt.

 

Die Aktiven haben das Glück, mit der beeindruckenden Marion Kessler, Holger Blaha sowie den Präsidenten Ralph Bender und Frank Germer gleich vier taugliche Sänger zu haben. Mit fetzigen Gitarrensounds und Schlagzeug begleitet gaben sie umgetextete Songs wie „Ich würd‘ so gern de Ernst Neger sein“ („Summer of 69″/Brian Adams) oder „Metzjer Press“ („Locomotive Breath“/Jethro Tull) unter dem Beifall des Publikums zum Besten.
Die Bezeichnung „Comedy“ traf auf die Beiträge von Ralph Bender als Totengräber („Der Sarg ist ein praktisches Geschenk: Jeder braucht’s, keiner hat’s), den längeren Sketch über den Kampfhund „Abrazzo“ und die beiden Steuerprüfer Frank Laurent und Hiltrud Johann-Laurent zu. Alle trugen ihren Klamauk ohne abzulesen vor, die Steuerprüfer banden bei ihren Untersuchungen und der kleinen Show „Wer wird Steuermillionär“ das Publikum mit ein. Wie bei einem lustigen Kabarett-Abend ging es dann bei den Pantomimen Tobias Flach und Patrick Seefelder zu, die um den größten aufgeblasenen Luftballon zur Verzückung der Narren buhlten.
Tänzerisch sorgten die Gruppen „Inkognito“, „Jazz Pants“ und „Germania Dream Boys“ für beste Stimmung, und auch an verbalen Attacken fehlte es nicht. Die Seitenhiebe gingen in Richtung des Nachbarorts Wicker. „Wo wohnt der saure Rebepflücker? E Stückche‘ ufwärts, nebe‘ in Wicker“ stimmte Präsident Rainer Welzel schon zu Beginn an. Der überzeugende Frank Germer als „Weintraub'“ berichtete von Trauben mit einem IQ von drei Öchsle – „wie sie der Wickerer liebt“. Aber auch „Woodstock-Veteran“ Uli Schuster und „Fassenachtsfummler alias Weltebummler“ Tobias Flach sowie Ralph Bender als „Franz Beckenbauer-Double“ sorgten für Lachsalven.
Heiß erwartet wurde das Ergebnis der inoffiziellen Bürgermeisterwahl, die die Wuff beim Kartenvorverkauf gestartet hatte. Rainer Welzel konnte das endgültige Ergebnis noch nicht bekannt geben, in der ersten Hochrechnung führte Bäcker Remsperger vor „Schulte-Paul“ und Bernd Jäger. Viele Denkzettel für die Politiker verpasste Welzel danach mit den Sprüchen „Galf-Plakate wurden vom Wickerer Kindergarten gemacht“, „CDU-Leute gucken in die Luft und warten was passiert“ und „Pokowietz – den kennt keiner“. Vorher nannte „Bürgermeisterkandidat“ Andreas Dörhöfer in seinem Wahlprogramm als ersten Punkt „Wicker raus“.

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Die WUFF wird für ihre beiden Sitzungen unter dem Motto „Wuffstock – Love unn Peace unn wehe Füß'“ wieder nur ein Drittel der Halle in Anspruch nehmen. Mehr Platz war genauso wie ein möglicher dritter Termin kein Thema. „Wir stoßen mit unseren zwei Sitzungen an unsere Kapazitätsgrenzen, außerdem wäre die Atmosphäre in zwei Hallendritteln nicht so gut“, erklärte Rolf Germer aus dem WUFF-Vorstand. Diese Tatsache bedeutete für die Narren einen anstrengenden Samstag Vormittag. 450 Karten wurden um 11.11 Uhr ausgegeben, davon höchstens vier pro Person. Die Weilbacher Kerbegesellschaft „6091“ wollte da auf Nummer sicher gehen und setzte sich bereits um 5.30 (!) eingemummt und mit warmem Glühwein auf Bänke vor das Haus am Weilbach. Damit hatten sie die Tickets sicher, doch wer sich erst gegen 8.30 Uhr an der Menschenschlange anstellte, hatte laut WUFF-Mann Rainer Welzel „kaum noch Chancen“. Ungefähr um diese Zeit begannen einige der rund 70 WUFF-Aktiven, die sich im Februar auf die Bühne begeben werden, die wartenden Anhänger mit Bratwürsten, Bier, Glühwein und heißem Orangensaft zu versorgen. Kostenlos versteht sich, als Ausgleich für die Strapazen. Rock-Musik dröhnte aus den Lautsprechern. „Vielleicht machen wir den Kartenvorverkauf das nächste Mal im Sommer, da ist es wärmer“, überlegte Germer. In die Röhre schauten übrigens die „echten“ Bürgermeisterkandidaten Ulrich Krebs, Wolfgang Pokowietz und Heiner Oßwald. Die Kommunalpolitiker wollten sich die Karten vorab sichern, stellten sich nach Absagen der WUFF nicht an und werden somit die Sitzungen verpassen. Einzig Bernd Jäger, der inzwischen seine Kandidatur zurückgezogen hat, wartete in der Reihe.

„Ausgebremst“ soll bei der Weilbacher Kerb für neuen Schwung sorgen Weilbach.
„Die letzte Kerb vor der Autobahn“, wie es auf dem Plakat von Andreas Dörhöfer hinter den Toren Weilbachs geschrieben steht, wirft ihre Schatten voraus. Die Weilbacher Kerbegesellschaft 6091 überlässt nichts dem Zufall: Jeden Montag wird im Vereinsheim der Germania die Gemeinschaft schon einmal gestärkt, bevor das traditionelle Fest vom 18. bis 22. August durchgeführt wird. 33 männliche und 17 weibliche Mitglieder hat die Kerbegesellschaft inzwischen in ihren Reihen. Nachdem es vor eineinhalb Jahren ein größeres Generationsproblem gegeben hatte und die Kerb vor dem Aus stand, haben sich wieder einige junge Weilbacher dafür begeistert. Aktiv werden sich 20 Jugendliche verschiedener Jahrgänge beteiligen, die Fahnen ihres Orts würdig zu vertreten. Angeführt von Kerbevadder Sven Press, der zum zweiten Mal in Folge dieses Amt bekleidet. Los geht es in diesem Jahr schon am Freitag ab 14 Uhr, wenn die Beschicker auf dem Kerbeplatz vor der Sport- und Kulturhalle – einen Tag früher als gewohnt – ihr Tore öffnen. Abends gibt es drinnen dann eine Disco – ohne einen musikalischen Schwerpunkt. Samstags, also am 19. August, wird der Kerbebaum um 12 Uhr gestellt, ab 20 Uhr lädt die Band „Vis-à-vis“ wieder zum Kerbetanz in die Halle ein. Sonntags hat sich die Kerbegesellschaft für den Frühschoppen um 10 Uhr, der in den vergangenen Jahren nicht mehr so gut besucht war, etwas Neues einfallen lassen. Auf Anraten der Fischbacher Kollegen wurde die Stimmungsband „Ausgebremst“ verpflichtet. Nachmittags startet der allgemeine Umzug durch Weilbachs Straßen und anschließend ein speziellerer der Kerbeborsch durch Weilbachs Kneipen. Der Gickelschlag findet montags ab 17 Uhr vor dem Haus am Weilbach statt, an diesem Tag gibt es auf dem Kerbeplatz Ermäßigungen für Familien. Dienstags sind die Stände schon geschlossen, die Kerbepuppe wird verbrannt und es gibt ein Abschlussessen für alle, die bei der Kerb geholfen haben. Erstmals seit den Bembelqwetschern vor sechs Jahren haben die jungen Weilbacher auch wieder eigene Apfelweingläser herstellen lassen. 1500 Exemplare gibt es für vier Mark pro Stück zu kaufen. Laut dem Vorsitzenden der Kerbegesellschaft, Marcus Reif, diene dies vor allem der Werbung, Geld könne damit fast gar nicht verdient werden. Gläser werden schon am kommenden Samstag von 7 bis 13 Uhr vor der Metzgerei Press verkauft.
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Zwischen Internet und Gickelschlag Weilbach.

Schwarze Hosen, weiße Hemden und lila-gelbe Schärpen. So präsentieren sich die 33 männlichen und 17 weiblichen Mitglieder (aktiv und passiv) der Weilbacher Kerbegesellschaft. Die Mützen stammen vom Hutmacher. Die „Uniform“ ist Ausdruck einer Tradition, die die jungen Weilbacher am Leben erhalten wollen. So gibt es eine klare Kleiderordnung des Kerbevadders: Er trägt die Schärpe, im Gegensatz zu den anderen Mitgliedern, von links oben nach rechts unten. Zudem unterscheidet ihn seine weiße Schürze von den anderen. Auch bei der Kerb, die am kommenden Wochenende in Weilbach stattfindet, dem größten Fest in dem Flörsheimer Stadtteil, werden viele alte Bräuche aufgegriffen, wenngleich sie über die Jahre hinweg immer wieder verändert wurden. So haben die Kerbeborsche 1995 aufgehört, den Apfelwein, den sie beim Umzug (dieses Jahr durch Frankfurter und Rüsselsheimer Straße, denn die Schlossstraße ist gesperrt) am Sonntagnachmittag ausschenken, selbst zu keltern. Auch die Äpfel klauen sie nicht mehr. Zu viel Arbeit sei es gewesen, das Getränk selbst herzustellen, und nicht immer habe der Ebbelwei Marke Eigenbrau besonders gut geschmeckt, erklärt Alexander Becker, Vorstandsmitglied der Kerbeborsch 6091 Weilbach. Mit den Traditionen gehen die Kerbeborsch ganz pragmatisch um. Anders wäre die Kerb wohl auch nicht mehr am Leben zu halten. Denn weil das Interesse, das Weilbacher Fest zu organisieren insgesamt soweit zurückgegangen ist, dass sich kein einzelner Jahrgang mehr bereit findet, es alleine auf die Beine zu stellen, wurde 1996 die Kerbegesellschaft gegründet. Für frischen Wind sorgen laut Becker auch die Frauen in der Gruppe. Dass Mädchen beim Ausrichten der Kerb mitmachen dürfen, war nicht immer selbstverständlich. 1982, als die Kerb schon einmal wegen Personalmangels in einer Krise steckte, und auch die Eltern schon mobilisiert worden waren, da griff man auf die Unterstützung der jungen Weilbacherinnen zurück. Hermann Lixenfeld hält in seinem 1983 erschienenen heimatgeschichtlichen Bericht „Die Weilbacher Kerb is doo!“ fest: „Als trotz aller Bemühungen die Anzahl der Burschen nicht ausreichte, nahm man noch die Jahrgangsmädchen mit in die Reihen der Kerbeborsch auf und kam somit auf 18 mit Kerbemütze und Schärpe geschmückte junge Leute.“ Von Lixenfeld stammt auch das Lied, das die Kerbeborsch nachts und beim Gottesdienst am Samstag singen werden. 1978 entstand das Stück mit dem Titel „Die Krotteeck“, in dem Weilbach als der schönste Ort im Hessenland gepriesen wird. Doch obwohl die Kerbeborsch alte Bräuche pflegen und beim Umzug mit Fahnen und einem Hammel durch den Ort ziehen und am Montag auch wieder den Gickelschlag veranstalten werden, versperren sie sich nicht den neuen Medien. Im Gegenteil: Sie nutzen sie. Auf ihrer Homepage (www.kerbeborsch.de) gibt es ein Aufnahmeformular zum runterladen, und Apfelweingläser lassen sich genauso bestellen wie die Kerbkrawatte. Doch keine Angst, am Montag werden die Jungs und Mädchen persönlich ab 5 Uhr zum Weckruf erscheinen, und nicht bloß E-Mails verschicken.
Fünf Tage lockt die Kerb
Weilbacher Kerbeborsch kündigen „Feier der Superlative“ an FLÖRSHEIM. In den nächsten fünf Tagen steht Weilbach ganz im Zeichen der Kerb. Nachdem das Traditionsfest im vorvergangenen Jahr fast vor dem Aus stand, haben die Kerbeborsch 6091 Weilbach mit vereinten Kräften und viel Engagement die Kerb gerettet. In diesem Jahr sorgen nun 45 Kerbemädels und Kerbeborsch dafür, dass zwischen der Festeröffnung heute um 20 Uhr und der Kerbbeerdigung am Dienstag, 22. August, ebenfalls um 20 Uhr kräftig gefeiert wird. Rund um die Weilbachhalle an der Schulstraße wird die Kerb 2000 nach den Vorstellungen von Kerbeborsch-Pressesprecher Marcus Reif zu einem „rauschenden Fest“ werden. Los geht es heute um 20 Uhr mit der Kerbedisco. Am Samstag, 19. August, wird um 12 Uhr der Kerbebaum vor dem Haus am Weilbach, Frankfurter Straße, aufgestellt. Von 20 Uhr an spielt die Gruppe Vis-à-Vis zum Kerbetanz in der Weilbachhalle. Wer diese „Feier der Superlative“, so die Eigenwerbung, gut überstanden hat, kann am Sonntag bereits um 10 Uhr zum Frühschoppen wieder in die Schulstraße kommen. Dort wartet nicht nur Herzhaftes für den Magen, sondern auch Musik aus Bayern für die Ohren. So gestärkt, lässt sich der Kerbeumzug von 14 Uhr an durch Weilbach wunderbar verfolgen. Start ist in der Wiesenstraße. Anschließend gibt es Kerbekaffee in der Weilbachhalle zugunsten der Kinderkrebshilfe Frankfurt. Für Montag, 21. August, laden die Kerbeborsch erneut zum Frühschoppen. Treffpunkt ist wieder um 10 Uhr – allerdings nicht an der Weilbachhalle, sondern bei Bauer Bernd Flach an der Frankfurter Straße. Es gibt Rippchen mit Kraut und mittags Kaffee und Kuchen, kündigt Pressesprecher Marcus Reif an. Um 18 Uhr beginnt der Gickelschlag mit dem traditionellen Fleischwurstessen vor dem Haus am Weilbach. Auch die schönste Feier muss einmal vorbei sein, so beerdigen die Weilbacher ihre Kerb am Dienstag, 22. August, um 20 Uhr an der Weilbachhalle. An allen Tagen werden die Schausteller ihre Buden und Fahrgeschäfte geöffnet haben. Die Kerbeborsch 6091 Weilbach suchen noch Nachwuchs. Weitere Informationen dazu gibt es unter der Internet-Adresse www.kerbeborsch.de.
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47 Kerbeborsch finanzieren die Weilbacher Kerb und halten sie am Leben

Weilbach. Bürgermeister Dieter Wolf lobte nach seinem Fassanstich besonders das Engagement der Weilbacher Kerbegesellschaft „6091“, die nun schon seit fünf Jahren das traditionelle Fest in und vor der Weilbachhalle veranstaltet. „47 Kerbeborsch finanzieren für die Weilbacher Bürger die Kerb und erhalten sie so am Leben“, betont Marcus Reif, der Vorsitzende der „6091er“, „drei Wochen nach Mallorca fahren können wir danach aber nicht.“ Eher im Gegenteil: Das finanzielle Risiko einer so großen Veranstaltung ist hoch. In der Vergangenheit ist es schon mal vorgekommen, das vierstellige Gema-Gebühren nicht rechtzeitig bezahlt werden konnten. In diesem Jahr wird die Kerbegesellschaft nur dann keine Verluste machen, wenn der heutige Gickelschlag gut besucht ist. Unterstützende Gelder von der Stadt erhält die Kerbegesellschaft nur in punkto Hallenmiete, die mit rund 1200 Mark billiger als für andere Vereine ist. Deswegen „leben“ die jungen Weilbacher von der Teilnahme der Bürger am fünftägigen Fest. Einnahmen gibt es für die Kerbeborsch durch den Verkauf von Speisen und Getränken sowie den Losen zur Hammelversteigerung. Dem stehen diverse Gebühren und vor allen Dingen die Kosten für zwei Tanzbands und die Kapelle beim Umzug gegenüber. Vom Absatz der 1500 hergestellten Apfelweingläsern mit dem Emblem der Kerbegesellschaft profitieren die Verfechter der Tradition kaum. „Das ist mehr ein Werbegag, wir haben auch schon viele verschenkt“, erklärt Reif. Sein Dank gilt der Stadt für die gute Zusammenarbeit in den vergangenen Jahren. Reifs Appell richtet sich an die Weilbacher Bürger, die den jungen Leuten unter die Arme greifen können: Mit einem zahlreichen Erscheinen beim Gickelschlag vor dem Haus am Weilbach. Speisen und Getränke gibt es dort ab 17 Uhr. (rem)
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Der Gewinner des Gockels bekocht die Kerbeborsch

Weilbach. Der Gickelschlag vor dem Haus am Weilbach – der heimliche Höhepunkt der Kerb – entwickelte sich gestern Abend zum Marathon. Freddy Flach war schon der elfte Auserwählte, der den Dreschflegel von den Kerbeborsch in die Hand gedrückt bekam. Er sollte zum gefeierten Mann vor gut 300 Zuschauern avancieren. Als er beim ersten Versuch, mit verbundenen Augen den Apfelweinkrug auf dem Boden zu treffen, wie schon so mancher seiner Vorgänger das „Arbeitsgerät“ kaputt gemacht hatte, wurde es dem Weilbacher zu bunt. Vor dem zweiten Mal tippte er den Krug nur an, um ohne die Augenbinde nochmals auszuholen, daneben zu hauen, aber mit dem dritten Versuch dann zu treffen. Die Menge tobte, und Flach ist nun um einen Gockelhahn reicher, den die Kerbeborsch extra von den Langenhainer Kleintierzüchtern geholt hatten. Zudem muss er den Kerbeborsch im nächsten Jahr – wie sein Vorgänger Harald Staudt dieser Tage – eine Mahlzeit servieren. Vor Freddy Flach hatten Friedhelm Volz, der stimmgewaltigste Fischbacher Kerbeborsch, der Erste Stadtrat Ulrich Krebs (verfehlte den Krug nur knapp), Dieter Dörhöfer, Harald Schmengler vom Ortsgericht, Thomas Kirchner und Nils Dietrich ihr Glück versucht. Flachs Sohn Tobias brachte es fertig, den Dreschflegel in zwei Stücke zu schlagen, ehe Werner Duchmann (FDP), Stadthistoriker Wilfried Theiß und Kerbemädelmutter Eva-Maria Tietze knapp scheiterten. Für die Kerbeborsch, die heute die Kerb beerdigen werden (Start ist um 20 Uhr an der Weilbachhalle), war es eine gelungene Veranstaltung. Sie ließen sich auch nicht davon irritieren, dass die Wickerer Artgenossen ihnen die Kerbepuppe Elsbeth vom Baum holten und dafür viel Alkohol verlangten. Das Konzept der Kerbegesellschaft „6091“ „Weilbacher Kerb für Weilbacher Bürger“ ging an diesem Tag auf, in Massen wurden Fleischwurst und Apfelwein verkauft. 2100 Mark, Einnahmen aus dem sonntäglichen Kerbekaffee, erhielt der Verein „Hilfe für krebskranke Kinder“ vor dem Gickelschlag. Und Marcus Reif, Vorsitzender der „6091“, versicherte trotz insgesamt rückläufiger Besucherzahlen bei der Kerb: „Wir machen weiter – so schnell geben wir nicht auf!“

Als die Gruppen Krämer und Kinkel durch den Ort zogen, gab es noch Rivalitäten Weilbach. Johann Flettner musste nur kurz in sich gehen, und schon kamen die Worte aus seinem Mund wie aus der Pistole geschossen. „Kerbeborsch sind lust’ge Brüder, haben frohen Mut, singen lauter lust’ge Lieder, sind ja alle Mädchen gut.“ Johann Flettner feiert bald seinen 90. Geburtstag. In einem solch hohen Alter spielt einem das Gedächtnis hin und wieder schon mal einen Streich. Wenn es um die geliebte Kerb geht, ist dies bei dem Weilbacher allerdings nicht der Fall. Da erinnert er sich gut. Mit seinen alten Kameraden Karl Weilbächer (Jahrgang 1905), Peter Sieben (1910) und Hans Schäfer (1921) saß Flettner im Haus am Weilbach beim zünftigen Frühschoppen vor einem Glas Bier und Fleischwurst zusammen. „Früher gab es nur Kerb und Fastnacht, sonst war nichts los. An Kerb ist kein Weilbacher in Urlaub gefahren“, erinnerte sich Schäfer. Der stand 1929 noch als kleiner Bub am Straßenrand, als die Kerbeborsch während ihres Umzugs im Ort unterwegs waren. Mit Flettner, Sieben und natürlich Kerbevadder Peter Remsperger, der inzwischen auf dem Aussiedlerhof lebt. Wichtiger als die Verfechter der Tradition waren damals jedoch die Musikkapellen. Die Gruppen Krämer und Kinkel zogen getrennt durch den Ort – da gab es eine richtige Rivalität, die darin gipfelte, dass eines Tages eine Pauke, bei dem Versuch kaputt ging, noch lautere Musik zu machen. 60 Mark erhielt eine Band für ihr Engagement beim Umzug und bei zwei Kerbetänzen (sonntags und montags). Mit der Machtübernahme Hitlers – von 1933 bis 1945 – wurde dann die Kerb verboten. „Jeden Monat im Jahr haben die Kerbeborsch dafür gesammelt, sonst hätten sie die Musikgruppen nicht finanzieren können“, erklärt Schäfer. Zusätzlich „bettelte“ die Kapelle bei den Besuchern um ein paar Groschen, „das nannte man zoppen“, weiß Heimathistoriker Hermann Lixenfeld, der sich mit den Kerbeborsch-Oldies die alten Bilder anschaute. Laut Lixenfeld wechselte der Kerbeplatz in der Vergangenheit öfter. Vor der früheren Verwaltungsstelle gegenüber dem Kriegerdenkmal wurde gefeiert oder im Ortsmittelpunkt, dort, wo jetzt das Haus am Weilbach steht. Mitte der fünfziger Jahre wechselten die Kerbeborsch in die Hattersheimer Straße, die im Zuge des Ausbaus der Autobahn 66 lange gesperrt war, danach in die Gastwirtschaft „Zur Rose“, die früher Hans Schäfer gehörte, und ab 1984 in die Weilbachhalle. Vor dem Haus am Weilbach waren die 20 Aktiven der Kerbegesellschaft „6091“ gerade dabei, den 25 Meter langen Kerbebaum zu schmücken, der mit Hilfe eines Krans um die Mittagszeit in die Höhe gehievt werden sollte. Früher geschah dies natürlich noch mit Muskelkraft. Diese Änderung war im Laufe der Zeit aber nicht die einschneidendste, wenn es nach Johann Flettner geht. Der gravierendste Unterschied zwischen der Kerb 1929 und 2000 sei die Geselligkeit unter den jungen Traditionsverfechtern, die nachgelassen habe. Diese allerdings nicht bewiesene Aussage kam aus seinem Mund fast so schnell wie das Kerbeborsch-Lied. (rem)