Ur-Weilbacher und „Oigeplaggde“
Das ist Heimat: Weilbacher Kerb 2019 – Tradition mit neuenWegen vereinbaren
Mit einem lockeren „Gude Weilbach“ hieß Vereinsvorsitzender Matthias Theis mit rauer Stimme die „Kerbe-Gemeinde“ willkommen, die sich am späten Montagnachmittag auf dem Kerbeplatz vor dem Haus am Weilbach versammelt hatte. „Thias“ begrüßte Bürgermeister Dr. Bernd Blisch – für den es die erste Weilbacher Kerb in seinem Amt war. Die Gäste waren schon mit Äbbelwoi, Fleischwurst und frischen Brezeln versorgt – alle warteten gespannt auf den Höhepunkt der Weilbacher Kerb, den Gickelschlag.
Doch vor dem Gickel-Spektakel hatte Matthias Theis noch etwas Erfreuliches zu vermelden: Dank der vielen gespendeten Kuchen war am Sonntag beim Kerbekaffee ein stolzer Erlös erzielt worden. Der Betrag in Höhe von 555 Euro wurde auch diesmal wieder der Kinderkrebshilfe Frankfurt e. V. mit einem symbolischen Scheck gespendet.
Der Gickel imWandel der Zeit
Die Moderation des Gickelschlags übernahm Marcus Reif. Zuerst schickte er einen Gruß „nach oben“ zu Äbbelwoiplantscher Edmund Fröhlich, der in diesem Jahr sein 55-jähriges Jubiläum feiern würde und doch nicht mehr dabei sein kann. Die Erinnerung an alte Weggefährten der Weilbacher Kerb wird hochgehalten. Alljährlich ist zu bestaunen, wie ausgewählte Personen mit verbundenen Augen versuchen, den „Gickel“ zu schlagen. Das Spektakel lockt jedes Jahr so viele Zuschauer an, dass der Platz um das Haus am Weilbach zu klein wird.
In diesem Jahr haben nun die Weilbacher Kerbeborsch einen neuen Weg eingeschlagen. Der Gewinner durfte zum ersten Mal den von Thomas Reinelt gespendeten „Gickel-Wanderpokal“, eine Skulptur aus Metall in Form eines Hahnes, nach Hause tragen. Auch Tommy Reinelt war in früheren Jahren in Weilbach Kerbeborsch gewesen. Mit diesem Schritt wurde – zum Wohle des Tieres – ein guter Kompromiss zwischen Tradition und Moderne geschaffen. Der erste Versuch, dem „Gickel“ (in Form eines Bembels) den Garaus zu machen, lag damit in der Hand von Rosi Reinelt, der starken Frau hinter dem bildenden Künstler Thomas Reinelt.
Für Rosi war es in diesem Jahre die 50. Weilbacher Kerb. Sie war es, die einst im katholischen Kindergarten die Initiative ergriff und mit den Kindern eine Kerbepuppe bastelte. Seitdem wird jedes Jahr im Rahmen des Kindergickelschlags eine neue Puppe von den Kindern des Kindergartens an die aktiven Kerbeborsch übergeben. Auch Gabi Baumann war für den Gickelschlag bereit, doch auch ihr gelang es nicht, das „Federvieh“ zu treffen.
Harald Schmengler war der nächste Kandidat, auch ihm wurden die Augen verbunden. Schmengler gehörte dem 1969er Kerbe-Jahrgang mit dem vielsagenden Namen „Bembelstemmer“ an und kann auf 50 Kerbeborsch-Jahre zurückblicken. Der von ihm geschwungene Dreschflegel verfehlte bei allen drei Versuchen leider ebenfalls sein Ziel. „Doch es war allen Beteiligten von vornherein klar, dass ’der’ Dritte“ den Gickel nicht schlägt“, so lautet nach Marcus Reif eine alte Weilbacher Kerbeweisheit. (Dafür sorgte „der Neue“ Kerbeborsch Mika Ehry, aber das wird nicht verraten!)
Ebenso erfolglos schlug sich Christian Paul, 15 Jahre Kerbeborsch. Alexander Becker, Kerbeborsch 1994, ging seinen Part gar nicht schlecht an, schließlich schlug er sogar den Dreschflegel in zwei Teile – doch knapp daneben ist eben auch vorbei. Carsten Ganß (1989 vom Äbbelwoi-Geschwader) gelang schließlich der gezielte Schlag – der „Gickel“ zerbrach in tausend Stücke. Blitzschnell flitzten die am Rande mitfiebernden Kinder in die mit rotweißem Band abgesperrte Arena, um sich eine der begehrten Scherben zu sichern. Als Sieger hat Carsten Ganß nun das Privileg, die Kerbeborsch im nächsten Jahr zum Essen einzuladen.
Kerbebaum, Fleischwurst und Tanz
Neben dem Gickelschlag gab es freilich noch viele weitere Punkte im Programm der 24. Weilbacher Kerb. Am Freitag zuvor ging beim traditionellen Kerbeabend mit „Tobi ’Ace’ Bartel“ die Post ab. Vor allem der Äbbelwoi fand großen Zuspruch. Am nächsten Morgen ging es noch etwas beschwipst, aber frohgemut zum Baumholen in den Flörsheimer Wald. Hier die richtige Auswahl zu treffen, war gar nicht so leicht. Der Kerbebaum wurde am späten Samstagvormittag gestellt.
Nach der Kerbeeröffnung stieg am Samstagabend bei freiem Eintritt der Open-Air-Kerbetanz mit der Band „Don’t Stop“. Auch einsetzender Regen konnte die Weilbacher vom Feiern nicht abhalten. Bis spät in die Nacht wurde ausgelassen gefeiert. Kurz nach dem gut besuchten ökumenischen Gottesdienst am Sonntagmorgen, der wie in jedem Jahr unter freiem Himmel vor dem Haus am Weilbach gefeiert wurde, kamen beim Frühschoppen die ersten Äbbelwoi-Meter zum Einsatz. Mit Jazz und Jux aus Hofheim sorgten die „Schoppeschlepper“ für Stimmung.
Weitere Programmpunkte waren der Kerbekaffee mit leckerem, selbstgebackenem Kuchen zu Gunsten der Hilfe für krebskranke Kinder, das Kerbemittagessen am Montag, der Gickelschlag mit traditionellem Fleischwurstessen und der anschließenden Hammelversteigerung.
Bürste und Kuss für den Hammel
Der Weilbacher Hammel mit dem stolzen Namen „Brexit Aurelius von Weilbach“ wurde von Liliana Wiesmann vor der Versteigerung liebevoll gebürstet und betreut. Ihr und den anderen Kerbemädels war er richtig ans Herz gewachsen. Er ließ den Nachmittag und die Versteigerung anhänglich und in bewundernswert stoischer Ruhe über sich ergehen. Der Auktionator mit dem passenden Namen Pascal Schäfer gab Familie Niebergall den Zuschlag, die den Hammel für stolze 2.115 Euro ersteigerte.
Der Hammel, ein Coburger Fuchsschaf, ist eine alte Landschaf-Rasse. Eine Besonderheit ist seine schö-ne, rostbraune Farbe. Erfreulicher Nebeneffekt: Ein Anteil aus der Versteigerung in Höhe von 315 Euro soll der Spende zu Gunsten der Kinderkrebshilfe Frankfurt e. V. zugeschlagen werden.
Von Weilbachern für Weilbacher
Der ökumenische Gottesdienst vor dem Haus am Weilbach ist, wie der ebenfalls dort stattfindende Gickelschlag, mittlerweile ein ganz selbstverständlicher Teil der Weilbacher lila-gelben Kerbe-Tradition. Der Verein 6091 sorgt dafür, dass sie bestehen bleibt. Auch die Aktiven 2019, gut zu erkennen an ihren weißen Hemden, halten diese Tradition auf- recht: Kerbevadder Marco Schaus, Kerbemutter Lena Werner, Liliana Wiesmann, Julia Neger, Franca Tummel, Fabio Maurer, Stefan Gessner und Mika Ehry.
Gerade die jungen Leute wollen und sollen sich mit ihren Einfällen einbringen. Ganz nebenbei macht die Kerb nicht nur allen Beteiligten Spaß, sie wirkt auch identitätsstiftend. In ihr drückt sich die Wesensart der Weilbacher, der Charakter des Ortes und seine besondere Geschichte aus. Und die Kerb – beziehungsweise der Verein 6091 – bringt Neubürger (Oigeplaggde) und Alteingesessene in lockerer Atmosphäre zusammen.
Der Dank der aktiven Kerbeborsch und des Vereins 6091 (mit mittlerweile etwa 180 Mitgliedern) gebührt den Weilbachern, den vielen Weilbacher Familien und den fördernden Mitgliedern, allen Unterstützern und Helfern und den Gästen der Kerb. Sie machen die Kerb erst zu dem schönen Fest, das es ist. Am Dienstagabend schließlich wurde die Weilbacher Kerb mit einem Fackelzug zu Grabe getragen. Doch auch im nächsten Jahr heißt es wieder: „Die Weilbacher Kerb iss doo!“
Quelle: Flörsheimer Zeitung vom 22. August 2019
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