In lila-gelber Tradition: Weilbacher Kerb bringt Neubürger und Alteingesessene zusammen / Erfolgsgeschichte wird fortgeschrieben

WEILBACH (noe) – „Gude Weilbach“, begrüßte Matthias Theis die zahlreich versammelte „Kerbe-Gemeinde“, die sich am Montagnachmittag auf dem Kerbeplatz vor dem Haus am Weilbach versammelt hatte. Der neue Vorsitzende des Vereins „Kerbeborsch 6091 Weilbach“ war noch etwas heiser – kein Wunder, lagen doch bereits (fast) vier Fest- und zwei Aufbautage hinter Matthias Theis und seinen Mitstreitern. Sie alle freuten sich gemeinsam mit den erwartungsfrohen Gästen auf den den Höhepunkt der Kerb, den Gickelschlag. Bevor es losging, hatte Matthias Theis Erfreuliches zu vermelden: dank der mehr als 20 gespendeten Kuchen und der fleißigen Esser war nämlich am Sonntag beim Kerbekaffee ein stolzer Erlös erzielt worden. Das Geld – die Kerbeborsch hatten auf 444 Euro aufgerundet – wird auch in diesem Jahr der Kinderkrebshilfe Frankfurt e. V. zugutekommen.

Die Moderation des Gickelschlags übernahm Marcus Reif. Das „6091-Urgestein“ – vom Gründungsjahr 1996 bis 2012 war Marcus Reif Vorsitzender des Vereins – feierte, wie Matthias Theis unter dem Applaus der Gäste mitteilte, an jenem Montag seinen 44. Geburtstag. Traditionell gebührt der erste Versuch, dem Gickel (respektive dem Bembel) den Garaus zu machen, dem Weilbacher Ortsvorsteher. Jener stand in Gestalt von Thomas Schmidt bereit, dem es jedoch nicht gelang, das „Federvieh“ zu treffen. Sogleich wurden Kersten Schaus die Augen verbunden, der dem 83er Kerbe-Jahrgang mit dem vielsagenden Namen „Blaue Bengel“ angehört. Der von ihm geschwungene Dreschflegel verfehlte bei allen drei Versuchen sein Ziel. Ebenso erging es Heiko Dörhöfer, dem Kerbevadder der „Krotteeckbube“, die vor 25 Jahren in Weilbach aktiv waren. Auch der 6091er Hendryk Becker (Kerbevadder 2008) sowie Mike Reichert – über viele Jahre leidenschaftlicher, nunmehr aber ehemaliger Auktionator der nach jedem Gickelschlag stattfindenden Hammelversteigerung – scheiterten. Hendrik Schmidt wurde als nächster Kandidat aufgerufen. Doch der 6091-Vorsitzende von 2012 bis 2018 glänzte, zur Verblüffung des Moderators, mit Abwesenheit.

Marcus Reif verpflichtete kurzerhand René Schäfer – aber auch der Kerbevadder des Jahrgangs 2003 konnte dem Bembel nichts anhaben. Besser, aber nicht gut genug machte es Ralph „Gayo“ Bender von den „Schoppekloppern“ (1985). Er traf den Krug zweimal, ohne ihn zu zertrümmern – laut Moderator Reif „ein Novum in der Geschichte der Weilbacher Kerb“. Immerhin ließ der Gickel ein paar Federn: ein Stück vom Rand war abgeplatzt. Alle Augen waren nun auf Thorsten Press gerichtet, der, bevor er zur Tat schritt, in seiner Funktion als Vorsitzender des „Carneval Vereins Weilbach 1908 e. V.“ zu den anstehenden Feierlichkeiten im 111. Jubiläumsjahr einlud. Nach zwei Fehlversuchen streckte er den Gickel mit einem beherzten Schlag ins Kontor nieder – und hat nun als Sieger das Privileg, die Kerbeborsch im nächsten Jahr zum Essen einzuladen. Kaum hatte der Gickel ausgekräht, flitzten die am Rande mitfiebernden Kinder in die Arena, um sich eine der begehrten Scherben zu sichern. Und da es bei einem Gickelschlag durchaus etwas lauter werden kann, waren am Ende der Veranstaltung nicht wenige Zuschauer fast so heiser wie der amtierende 6091-Vorsitzende.

Fröhlich und etwas beschwipst Neben dem Gickelschlag gab es freilich noch viele weitere Punkte im Programm der 23. Weilbacher Kerb. Am Freitag ging beim Traditionsabend mit Alleinunterhalter Tobi Bartel die Post ab. Die gereichten hessischen Spezialitäten, vor allem der Äbbelwoi, für den bereits um halb zwölf Nachschub organisiert werden musste, fanden großen Zuspruch. Am nächsten Morgen ging es noch etwas beschwipst, aber frohgemut zum Baumholen in den Flörsheimer Wald. Der Kerbebaum – in diesem Jahr stand vor dem Haus am Weilbach ein ziemlich hohes Exemplar – wurde am späten Samstagvormittag mithilfe eines Krans gestellt. Nach der Kerbeeröffnung stieg am Abend der Open-Air-Kerbetanz mit der Liveband „HI-5“, bei dem bis spät in die Nacht ausgelassen, aber friedlich gefeiert wurde.

Die große Sause der vergangen zwei Tage hing dem ein oder anderen Aktiven am darauffolgenden Sonntag noch in den Klamotten – was freilich kein Grund war, sich fortan in Zurückhaltung zu üben. Kurz nach dem gut besuchten ökumenischen Gottesdienst, der wie in jedem Jahr unter offenem Himmel vor dem Haus am Weilbach gefeiert wurde, kamen beim Frühschoppen die ersten Äbbelwoi-Meter zum Einsatz. Die stetig wachsende Gästeschar ließ es sich bei strahlendem Sonnenschein und stimmungsvoller Akkordeonmusik, die Alleinunterhalter „Robert“ zum Besten gab, gut gehen. Weitere Programmpunkte am Sonntag waren der Kerbekaffee und die Luftballon-Aktion, am Montag folgten das Kerbemittagessen und die nach dem Gickelschlag mit traditionellem Fleischwurstessen zelebrierte Hammelversteigerung. Der Auktionator mit dem passenden Namen Pascal Schäfer gab Christian Winkler den Zuschlag, der den Hammel „Thias“ für stolze 2.030 Euro ersteigerte. Namenspate des Kerbehammels ist übrigens Matthias Theis, führte er doch seine „Schäfchen“ im ersten Jahr als Erster Vorsitzender durch die Kerb. Am Dienstagabend schließlich wurde die Weilbacher Kerb mit einem Fackelzug zu Grabe getragen.

6091 – Retter der Kerb

Die Weilbacher Kerb bewies auch in ihrer 23. Auflage erneut, dass sie ein Fest wie kein anderes ist. Sie hat sich im Laufe der Zeit unter der Federführung des regen, mittlerweile rund 160 Mitglieder starken, Vereins Kerbeborsch 6091 quasi neu erfunden, ohne sich von der Tradition zu entfremden.

Wie in so manch anderem Ort, stand die Kerb in Weilbach einst vor dem Aus. Dass es 1996, nach einer kritischen Phase, ganz anders kam, sei dem gemeinsamen Engagement von Aktiven der Kerbe-Jahrgänge 1986 bis 1995 zu verdanken, die vieles besser machen wollten, sagte Marcus Reif im Gespräch mit dieser Zeitung. Dazu gehörte zum einen die Aufnahme von Kerbemädels – als Aktive auf Augenhöhe und nicht als „schmückenden Anhang“, versteht sich. Auch suchte man die Verständigung mit der katholischen Kirche, die damals nicht besonders gut auf die Kerbeborsch zu sprechen war. Das kam nicht von ungefähr: Kerbeborsch hatten sich während des Gottesdienstes in der Kirche übergeben müssen, Kerbehammel und Kerbepuppe wurden auf die Namen „Jehova“ beziehungsweise „Incontinentia“ getauft. Daraufhin war der Kerbegottesdienst in der Kirche Maria Himmelfahrt untersagt worden. Die 6091er hätten gerne eine neue Chance bekommen, sie bekamen sie nicht – jedenfalls nicht in den Kirchenräumen. In dieser Situation sei die Idee zu einem ökumenischen „Open-Air-Gottesdienst“ entstanden, erklärte Marcus Reif.

Der Gottesdienst vor dem Haus am Weilbach ist, wie der ebenfalls dort stattfindende Gickelschlag, mittlerweile ein ganz selbstverständlicher Teil der Weilbacher Kerbe-Tradition. Der ehemalige 6091-Vorsitzende Marcus Reif erinnert in diesem Zusammenhang auch daran, dass der einst auf dem Platz vor der Volksbank durchgeführte Gickelschlag eine eher knappe, wenig beachtete Veranstaltung gewesen war. Erst die Verlegung des Gickelschlags vor das Haus am Weilbach – eine Idee des ehemaligen Ersten Stadtrats und letzten Weilbacher Bürgermeisters Norbert Hegmann – habe in Kombination mit dem „aus Verlegenheit“ eingeführten Fleischwurstessen am Kerbemontag zu einer Belebung geführt. Beide Programmpunkte seien sofort gut angekommen, die erste Auflage des Gickelschlags auf dem neuen Festplatz hätten 600 Leute besucht, so Reif. 2004 erfolgte schließlich der komplette Umzug der Kerb – zuvor war die Weilbachhalle beziehungsweise die Schulstraße Hauptstandort gewesen. Folgerichtig ist seitdem auch der Kerbebaum vor dem Haus am Weilbach zu finden.

Von Weilbachern für Weilbacher

Die in lila-gelber Tradition stehende Weilbacher Kerb ist zweifelsohne eine Erfolgsgeschichte. Und der Verein 6091 sorgt dafür, dass sie fortgeschrieben wird. Die Kerb werde von Jahr zu Jahr teuerer, eine Vielzahl von Rechnungen – darunter die Gebäudemiete und diverse Versicherungen – sei zu begleichen, so der 6091-Vorsitzende Matthias Theis. Doch die Kerb wachse mit ihren Aufgaben: dank erhöhter Professionalität sei es gelungen, Einsparungen vorzunehmen. Zum Beispiel hätten die neuen Lagerräume, die laut Reif „das Niveau eines Industriebetriebs“ erreichen, aufgrund der besseren Übersichtlichkeit zu einer ökonomischeren, da nicht länger „doppelt und dreifachen“ Beschaffung von Materialien wie Papptellern oder Plastikgabeln geführt.

Wichtig bei alldem sei die unverändert feste Verwurzelung im Ort: die Kerb soll die Tradition nicht um ihrer selbst willen pflegen, sie soll ein Fest von Weilbachern für Weilbacher sein. Das fange damit an, so Reif und Theis unisono, dass die Bratwurst, das Brötchen, der Äbbelwoi und das lila-gelbe Schmuckband aus Weilbacher Läden stammen. Wichtig sei auch, dass sich gerade die jungen Leute mit ihren Einfällen einbringen. „Die Idee, den Bach zu überbauen, um dann eine Cocktailbar draufzustellen, ist so ein Ding. Das beweist, was alles möglich ist“, so Matthias Theis.

„Wenn sich die Kinder der Grundschule am Weilbach auf den 15. August freuen, da sie wissen, dass nach Maria Himmelfahrt die Kerb beginnt, ist das eine tolle Sache“, meint Marcus Reif. Sie seien, so wie einst sein eigener Jahrgang, die Zukunft der Kerb. In Weilbach sei es erfreulicherweise für viele wieder selbstverständlich, (mindestens) einmal als Kerbeborsch aktiv zu sein. Dass der aktuelle Jahrgang mit lediglich fünf Aktiven – namentlich sind dies Michelle Bächler, Michelle Bätz, Marvin Püschel, Marco Schaus und Franca Tummel – eher schwach besetzt ist, sei normal. „Solche Phasen gab es schon immer“, so der altgediente 6091er Christoph Schelm. Ein zahlenmäßiger „Traumjahrgang“ werde nicht lange auf sich warten lassen, ist er überzeugt. Ganz nebenbei macht die Kerb nicht nur allen Beteiligten Spaß, sie wirkt auch identitätsstiftend. In ihr drückt sich die Wesensart der Weilbacher, der Charakter des Ortes und seine besondere Geschichte aus. Und die Kerb – beziehungsweise der Verein 6091 – bringt durch die, wie es in der Politik so schön heißt, niedrigschwellige Traditionspflege Neubürger und Alteingesessene zusammen. Wie gesagt, die Weilbacher Kerb ist ein Fest wie kein anderes.

Quelle: Flörsheimer Zeitung vom 23. August 2018