Städtischer Forst befindet sich in einem schlechten Zustand – Kerbeborsche müssen sich wohl neu orientieren

Es war noch nicht richtig hell, als sich ein Grüppchen junger Männer und Frauen in der Frankfurter Straße versammelte. Die Kirchturmuhr zeigte 6.30 Uhr – eine Zeit, zu der man am Samstagmorgen lieber die Bettdecke über den Kopf zieht. Dennoch waren die jungen Weilbacher nach einer langen Nacht schon wieder auf den Beinen – manche von ihnen vielleicht sogar immer noch. Die Kerbeborsche und Mädel standen in den Startlöchern, um eine wichtige Tradition zu erfüllen: Die Abholung des Kerbebaums im Flörsheimer Wald. Dabei waren sie vielleicht der vorerst letzte Jahrgang, der die Fahrt in den Forst südlich des Mains antreten durfte.

Experten berichten schon seit Jahren vom schlechten Zustand des städtischen Waldstücks. Trockenheit und Schädlinge haben die Bäume stark mitgenommen. Um den Wald zu schonen, verzichtete der Verein Kerbeborsch 6091 in diesem Jahr auf Birkenstämme, mit denen die Weilbacher Straßen bisher geschmückt wurden. Stattdessen hängen lila-gelbe Fähnchen in den Gassen. Den Kerbebaum wegzulassen, war keine Option. Bei der Auswahl mussten die Festausrichter allerdings Einschränkungen hinnehmen: Statt der früher üblichen Fichten luden die Borsche diesmal eine Douglaise auf den Kurzholzwagen. Nachschub wird es wohl nicht geben. Vereinschef Matthias Theis hat gehört, dass die zuständige Behörde Hessen Forst keine Hoffnung auf weitere Kerbebäume macht. „Wir müssen uns nach einem neuen Wald umschauen“, sagt der Weilbacher.

Am Samstagvormittag kam also der mutmaßlich letzte Kerbebaum aus dem Flörsheimer Wald in Weilbach an. Mit einer Länge von 17 Metern reichte der Stamm über den gesamten Festplatz. Für die Aktiven hieß es jetzt erst einmal kurz verschnaufen und auf den Kranwagen warten. Das schwere Fahrzeug traf um kurz nach 11 Uhr vorm Haus am Weilbach ein. Für die anwesenden Kinder näherte sich damit der Moment, dem sie entgegen gefiebert hatten: Das Anheben des Baums von der waagerechten in die senkrechte Position. Zunächst galt es jedoch ein paar Schritte umzusetzen, die aus einer großen Douglaise einen großartigen Kerbebaum machen. Nachdem der Stamm leicht angehoben wurde, befestigten die Kerbeborsche einen lila-gelb verzierten Kranz unterhalb der Krone. Außerdem schraubten sie einen Stuhl an den Baum, auf dem die Kerbepuppe thront. Schließlich war noch Zeit für ein paar traditionelle Worte. Kerbevadder Luca Berg taufte die Puppe auf den Namen „Wilde Hilde“. Dann wurde es spannend. Der 17 Meter-Baum schwebte an der Kette des Kranwagens zu einem Loch neben dem Weilbach. Als Vereinsmitglied Heiko Dörhöfer gegen 12 Uhr mehrere Keile zwischen Stamm und Öffnung schlug, hatte die Douglaise ihren letzten Standort erreicht.

Die Auswirkungen von Extremwetterlagen bekommen die Ausrichter der Kerb nicht nur im Wald zu spüren, sondern auch am Weilbach, der durch den Festplatz fließt. Nach einem schweren Unwetter am Mittwochabend mussten die Kerbeborsche den Aufbau einer Bar über dem Gewässer um einen Tag verschieben. Als sich das Hochwasser gelegt hatte, konnten sie die Konstruktion über dem Bachbett jedoch gerade noch rechtzeitig zum Start am Freitagabend installieren. Am Wochenende gingen dort reichlich Cocktails über die Theke. Kerbevadder Luca Berg und Vereinschef Matthias Theis sind mit dem bisherigen Verlauf des Festes sehr zufrieden. Beim Kerbetanz mit „Eine Band names Wanda“ sei am Samstag vermutlich ein neuer Besucherrekord aufgestellt worden. Theis geht von weit über 500 Besuchern aus. Heute wird weiter gefeiert. (Siehe Box).

Heute: Hammel-Versteigerung ohne Hammel

Erstmals haben die Kerbeborsche in diesem Jahr auf einen lebendigen Hammel als Begleiter verzichtet. Die Akiven haben die Rolle des Schafs, das immer montags auf dem Kerbeplatz versteigert wurde, aus Rücksicht auf das Tierwohl gestrichen. Die meisten Besucher hätten Verständnis für die Anpassung, sagt Kerbevadder Luca Berg. „Das war eine Super-Tradition – aber ich denke, man muss mit der Zeit gehen“, meint der 21-Jährige. Den meisten Leuten sei vor allem die Gaudi während der Hammelversteigerung wichtig, erklärt Vereinschef Matthias Theis. Und diese Gaudi soll es weiterhin geben: Im Anschluss an den Gickelschlag, der heute Abend um 18 Uhr beginnt, findet die Hammelversteigerung statt. Statt eines Schafes winkt diesmal ein individuell gestalteter Tonkrug als Erinnerungsstück. Das heutige Programm startet bereits um 11.30 Uhr mit dem Kerbemittagessen. sas

Quelle: Höchster Kreisblatt vom Montag, dem 21. August 2023